Früher haben sich Menschen diskret verlobt und anschließend eine Hochzeit nach Ihrem Ermessen gefeiert. Heute ist das alles etwas anders. Der aufsehenerregende Antrag wird filmreif per Smartphone-Kamera im richtigen Winkel und perfektem Licht, natürlich ganz zufällig, spontan und total unvorhersehbar, aufgenommen. Dieser überaus intime Moment wird dann nicht selten mit der ganzen Welt geteilt. Gott bewahre, wenn nicht alle Menschen in ihrer Umgebung nicht völlig durchdrehen und kein Orgasmus ähnlichen Freudenschrei von sich geben, wenn die Braut verkündet, dass sie bald heiraten wird. Das wäre auch alles in Ordnung, wenn diese Kandidaten nicht das eigentliche aus den Augen lassen würden. Das Leben nach der Hochzeit mit einem Menschen, der sie für den Rest ihres Lebens begleiten wird und die Tatsache, dass auch dieser Tag irgendwann vorbeigeht.
Das Braut-Dasein = Hysterikerin
Eine ehrliche Reaktion oder Meinung wird die Beziehung zu der Braut für immer zerstören. Es klingt vielleicht zu überspitzt, aber das Verhalten einer zukünftigen Braut ähnelt oft einer gravierenden Persönlichkeitsstörung. Das einzige Heilmittel scheint die Hochzeit zu sein. Sie vergessen, dass sich die Erde nicht um ihr weißes Kleid oder die ihrer Hochzeitskarten dreht. Es ist auch völlig egal, dass sie Menschen verletzten oder anschreien, die bspw. ihr Leben gerettet hat, weil Sie von dieser Person aus einem brennenden Haus gerettet wurde. Das ist bis zu dem Augenblick nicht mehr der Rede wert. Warum das so ist? Denn Sie ist nicht mehr eine Freundin, Schwester, Mutter oder Cousine – NEIN, Sie ist DIE BRAUT!
Alles kann und wird gegen den Single verwendet werden
Falls jemand auf die fatale Idee kommt tatsächlich seine Meinung zu äußern, dann wird es als purer Neid ausgelegt! Es kann nicht damit zusammenhängen, dass man das Beste für diesen Menschen will oder es womöglich berechtigte Zweifel gibt. Diese Vorverurteilung muss man besonders als Single so hinnehmen. Das ist auch nicht diskutierbar. Es wäre sogar akzeptabel, wenn die eigene Entscheidung, sich nicht auf einen dauerhaften Partner einzulassen, genauso toleriert werden würde. Dies ist aber nicht der Fall. Ganz im Gegenteil, das wird in Form von Mitleid seitens der Brautzillas ausgedrückt. Wie ein störender Pickel, auf einer makellosen Haut, wird diese Tatsache als Problem angesehen, welches behoben werden sollte. Das ist mit einer der Gründe, warum man gezwungen ist, dieses Theater mitzumachen. Kein Mensch möchte als missgünstig, neidisch oder einsam angesehen werden.
„Ich bin nicht so eine“
Am schlimmsten sind im Übrigen die Bräute, die sagen: „Ich bin nicht so eine, ich bin ganz anderes als andere Bräute.“ Anfangs können sie noch klar denken, aber früher oder später ist bei denen auch Hopfen und Malz verloren. Alles muss individueller, besser und moderner sein, als alles, was es je in der Hochzeitswelt jemals existiert hat. Sie wollen alle das Rad neu erfinden. Trotz dessen wird komischerweise jedes Klischee in ihrer ganz eigenen und originellen Art umgesetzt. Schließlich möchte man ja immer noch „anders“ sein. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass die Hochzeitsbranche jährlich über 40 Milliarden Euro Gewinn macht, mit diesen heiratswilligen Bräuten, die bereit sind Unsummen auszugeben, nur damit die Namen des Brautpärchens auf jeder Servierte, Tischdeckchen oder Kärtchen bedruckt wird. Nur für den Fall, dass die Gäste vergessen, wie das Hochzeitspärchen heißt. So als würde man auf der eigenen Party unbedingt überall sein Revier markieren wollen.
Der schönste Tag im Leben
Jetzt mal Hand aufs Herz, wenn die Hochzeit der schönste Tag im Leben ist, bedeutet das nicht zwangsläufig im Umkehrschluss, dass alles andere im Leben nie dieses Ereignis übertreffen könnte? Es wird im Vorfeld ein völlig utopisches Bild in den Köpfen der Bräute eingebrannt, weil es ja sonst nichts in ihrem Leben geben wird, was ansatzweise jemals so gewürdigt werden kann, wie die Hochzeit. Das ist nicht nur antifeministisch, sondern auch gelogen, oder besser gesagt traurig. Traurig, dass nie ein Diplom, eine Auszeichnung oder eine andere herausragende Leistung immer im Schatten der Hochzeit stehen wird. Was sind schon 4–10 Jahre Ausbildung, Studium oder Forschung, gegen eine Hochzeit? Genau das vermittelt die Gesellschaft allen Frauen und Mädchen. Vermutlich muss das so vermittelt werden, damit die Frau glaubt, dass dies das höchste ist, was sie erreichen kann und nicht auf die Idee kommt irgendwas anderes von ihrem Leben haben zu wollen.
Die Feierwürdigen-Lebensentscheidungen
Trotz all dem, möchte man sich für die Freundin, den Freund, der Cousine oder Schwester freuen, wohl wissend, dass sich vieles ändern wird. Eine Lebensentscheidung, die jemand für sich trifft, muss akzeptiert werden, da jeder Mensch nur dieses eine Leben hat. Sei es eine Verlobung, eine Hochzeit oder ein Baby zu bekommen, aber warum muss sich dieser Mensch, der sich gegen eine Verlobung, eine Ehe oder ein Kind entschlossen hat, nicht auch gefeiert werden? Wo ist die „Gut, dass du Schluss gemacht hast – Feier“ oder „Yuhu, du bist nicht schwanger – Party? Singles haben in ihrem Leben viel Zeit und Geld für all diese Feierlichkeiten ihrer verheirateten Freunde oder Verwandte ausgegeben, wann sind die Singles dran? Oder dürfen sie gar nicht erst sowas erwarten, weil sie gefälligst auch heiraten müssen? Menschen sind verschieden, nicht jedes Ereignis in unserem Leben wird gleich gut oder schlecht aufgefasst. Also hört auf in euren individuell ausgesuchten elfenbeinweißen Kleidern und dem Schleier, der eure Sicht auf die Realität verfälscht, traurig auf Singles herabzublicken. Abgesehen davon bin ich der festen Überzeugung, dass der Brauch, die Namen der ledigen Freundinnen auf die Sohle der Braut zu schreiben, falsch verstanden wurde. Sie werden nicht aufgeschrieben, damit der Name, der als erstes verblasst, die nächste ist, die heiratet, sondern diejenigen, die aus dem Leben der Braut nach und nach verblassen werden.
Ab wann wurde aus du und ich, ihr und ich?
Es gibt wenig verheiratete Paare, die nach der Eheschließung immer noch sie selbst geblieben sind. Als wäre das ein ungeschriebenes Gesetz, kein Individuum mehr sein zu dürfen. Aber was bedeutet Ehe eigentlich? Vielleicht weil man sich ein Versprechen vor „Gott“, dem Standesamt und der Familie gibt? Das sind nicht zwangsläufig Menschen, die man liebt. Im Prinzip heißt das doch, dass dieses „Versprechen“ vor dem eigentlichen Menschen, die man liebt, weniger bedeutet, da es nicht vor einem Beamten, Priester oder Imam ausgesprochen wurde. Letztendlich ist es auch nur ein Stück Papier, dass dir bestätigt, dass man nun auch rechtlich an jemanden gebunden ist. Das ist scheinbar für einige Paare ein Grund nicht mehr Sie selbst zu sein, sondern nur noch ein Wir. Hier stellt sich die Frage, ab wann wurde aus du und ich, ihr und ich?
2 Comments
Ich möchte meine aufrichtige Anerkennung für die Exzellenz deines Blogs aussprechen. Deine kritische Denkweise und die Fähigkeit, komplexe Themen in verständliche Abschnitte zu unterteilen, machen ihn zu einem Leitfaden für den Wissenshungrigen.
Vielen Dank, ich fühle mich sehr geehrt 🙂