Die Tür fällt ins Schloss, nach dem der Paketboote diese Woche schon das dritte Paket bei mir abgegeben hat. Hyaluronserum, Retinol Creme, Algen Maske, chemisches AHA Peeling, Kreatin Kur für die Haare und alles, um ‚schön‘ aussehen zu wollen. Während ich hier sitze und all diese Fläschchen, Döschen und Pröbchen betrachte, frage ich mich, wie viel Zeit ich bei all diesen angelernten Skills, bezüglich Inhaltsstoffe bzw. Wirkstoffe, chemischen Zusammensetzungen, Hautbeschaffenheit oder pH-Werte vergeudet habe? Ganz zu schweigen von dem Geld. Ich frage mich, wie gut ich wohl in der Schule oder im Studium gewesen wäre, wenn ich dieselbe Motivation aufgewendet hätte, wie hier zum Thema Beauty? Wieso steckt in uns Menschen ständig der Druck, schön sein zu wollen?
Was erwarten Menschen eigentlich von Schönheitsprodukten?
Paradoxerweise weiß ich genau, dass ich all das nicht brauche, oder anders gesagt brauchen sollte. Mit der Menge an all diesen Produkten, könnte vermutlich einen Salon führen. Nach langem ein und aussortieren dieser Produkte kam mir die Erkenntnis. Es geht primär nicht, um die Angst zu altern, oder die Annahme, nicht mehr so attraktiv auf andere zu wirken. Auch die Produkthersteller oder die Werbungen sind nicht in erster Linie dafür verantwortlich, warum ich glaube all das zu brauchen. Es ist dasselbe Gefühl erwecken zu wollen, wie damals, als man zum ersten Mal den Haarglätter für sich entdeckt hat und nicht mehr mit der Harry Potter Figur Hagrid sich verglichen hat. Oder sich anfing zu rasieren, den Bart zu stutzen oder die Augenbrauen zu zupfen. Der Moment, als die pechschwarze Mascara die Wimpern solang und ausdrucksstark aussehen lassen haben, sodass die eigene Augenfarbe viel mehr zum Ausdruck kam. Die Creme, die nach kurzer Zeit die Pickelchen verschwinden lassen hat. All die ersten Male, als wir Kosmetiker oder Haarprodukte ausprobierten, die uns selbst das Gefühl vermittelt haben, schön zu sein. Dieses Gefühl, welches das Selbstwert steigern ließ, das Selbstbewusstsein förderte und in gewisser Weise Mut verliehen hat. All das erwarten Menschen von einem Schönheitsprodukt. Natürlich ist das eine utopische Vorstellung, die wir von einem Produkt erwarten.
Schönheit kommt von innen
Wir wollen uns in erster Linie schön finden. Erst dann ist es möglich, von anderen Komplimente anzunehmen. Selbstverständlich liegt Schönheit im Auge des Betrachters und ja, jeder Mensch ist auf seine eigene Weise schön usw. Wir kennen all diese Sprüche, die wir einander sagen, um sich besser zu fühlen. Klar, Schönheit kommt in erster Linie von Innen, aber nicht so wie es viele auffassen in Form von Aufrichtigkeit, ein großes Herz, Empathie oder Hilfsbereitschaft. Derjenige, der dieses Gerücht in die Welt gesetzt hat, gehört am Intimbereich gewachst. Warum sonst haben sonst ignorante, von sich selbst besessene, egomanische, narzisstische Menschen so viel Erfolg auf dem Single-Markt? Die Antwort ist, dass solche Menschen sich unwiderstehlich finden und genau dieses Gefühl vermitteln sie auch ihrer Umwelt. Das bringt viele Leute dazu, diesen Mensch ebenfalls als attraktiv wahrzunehmen, auch wenn dieser überhaupt nicht dem Schönheitsideal entspricht. Da spielt es dann keine Rolle, ob die Person paar Kilos zu viel, paar Haare zu wenig oder paar Zentimeter zu klein ist. Aufgrund der Tatsache, dass diese Menschen so selbstüberzeugt sind, entsteht dadurch eine Art Gaslighting. Die Manipulation über die Wahrnehmung ihres Erscheinungsbildes ist so ausgeprägt, sodass die andere Person tatsächlich an der eigenen Vorstellung von wahrer Schönheit zweifeln lässt.
„Leute machen Kleider“, oder wie ging der Spruch nochmal?
Ähnlich ist es auch bei Modetrends. Jetzt mal Hand aufs Herz, wer hätte je gedacht, dass die Jogginghose, die nach Karl Lagerfelds Aussage, das Textilstück des ultimativen Scheiterns ist, sich mittlerweile als Nachfolger der beliebten Jeanshose entpuppt hat? Lange vor Corona haben die Menschen angefangen immer öfter Jogginghosen zu tragen, da jeder eingesehen hat, dass sie einfach praktisch sind und sie mittlerweile sowohl elegant als auch lässig getragen werden können. Ähnlich ist es auch bei Menschen, denn wer möchte ständig auf jemanden warten müssen, der ewig brauch, bis dieser sich fertig gemacht hat? Und das gilt sowohl für Frauen als auch Männer.
„Scheiß darauf, ich lege ein Filter darüber.“
Zum Thema Schönheit darf der Punkt Fotos natürlich nicht fehlen. Wann habt ihr das letzte Mal ein Bild von euch selbst gepostet, ohne einen Filter oder eine Bildbearbeitungsapp verwendet zu haben? Ja, ich kann ehrlicherweise diese Frage auch nicht konkret beantworten, weil es einfach zu lange her ist. Ich kann es auch niemanden verübeln, da man auf Social – Media Plattformen quasi gezwungen wird, genauso perfekt aussehen zu müssen, wie jene Menschen, die im Monat mehrere Hundert Euros für Bearbeitungsapps und tausende Euros für Schönheitsoperationen ausgeben. Das Gefährliche daran ist nicht das verzerrte Bild dieser Menschen oder die Risiken der Operationen, sondern, dass es in vielen Gesellschaften total normalisiert wurde, nicht mit dem zufrieden zu sein, wie man ist.
Die Mir-Egal-Haltung
Überzeugt von diesen neuen Erkenntnissen, druckte ich die Retourscheine aus, um mehr als die Hälfte der Produkte wieder zurückzuschicken. Ja, ich könnte der Industrie, der Werbung oder der Gesellschaft die Schuld in die Schuhe schieben, weshalb ich immer noch ein Opfer des Kapitalismus bin. Doch das wäre noch falscher als die Versprechungen, die auf diesen Produkten groß aufgedruckt worden sind. Es heißt Schönheit liegt im Auge des Betrachters, aber sind wir es nicht, die uns täglich selbst im Spiegel betrachten? Am Tag darauf kam der Paketboote erneut, um die Pakete wieder abzuholen. Ich war noch in meinem Pyjama, hatte meine Haare in einem zerzausten Dutt und ich meine sogar noch paar Kaffeeflecken auf dem Oberteil gehabt zu haben, als er vor meiner Wohnungstür stand. Ich öffnete die Tür und lächelte, während er mich auch anlächelte und sagte: „Sie sehen heute richtig entspannt aus.“ Tatsächlich war ich es auch, ich arbeitete an diesen Text und es war mir egal wie ich aussehe. Wenn ich doch nur vor jedem Menschen so selbstbewusst diese „Mir-Egal-Haltung“ aufrechterhalten könnte! Als die Tür erneut ins Schloss fiel, wurde mir bewusst, dass nach meiner eigenen Familie, der Paketboote der einzige Mensch ist, der mich bisher in allen Lebenslagen sehen durfte, ohne das ich darüber nachdachte, wie ich wohl aussehe.

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